Ausstellung in der
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Le monde comme il va - Die Welt wie sie ist
Ausstellung in der Bourse de Commerce
Le monde comme il va – Die Welt wie sie ist
Ausstellung in der Bourse de Commerce
noch bis zum 2. September 2024
+
Installation von Kimsooja „To breathe“
noch bis zum 23. September 2024
Unsere Welt ist geprägt von Krisen aller Art. Feste Referenzpunkte brechen weg, vieles ist im Umbruch. Die Ausstellung „Le monde comme il va“ (Die Welt wie sie ist) will dies künstlerisch reflektieren. Gezeigt werden ausgewählte Werke aus der Pinault Collection, größtenteils entstanden zwischen 1980 und heute. Für die Gestaltung der Rotunde, der Vitrinen rundum sowie des Untergeschosses bekam die südkoreanische Künstlerin Kimsooja (*1957 in Daegu) „Carte Blanche“.
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Inhalts-
Verzeichnis
1.
Woher kommt der Titel?
„Le Monde comme il va“ ist ein eher unbekanntes philosophisches Lehrstück von Voltaire. Darin geht es um Babouc, einen jungen Mann, der von einem Engel in die fiktive Stadt Persepolis (von den Kritikern als Paris zur Zeit Voltaires gelesen) geschickt wird, um darüber zu urteilen, ob sie aufgrund der gesellschaftlichen Zustände zerstört werden sollte oder nicht.
Babouc ist unentschieden, er findet sowohl Schlechtes als auch Gutes vor: „Unverantwortliche Sterbliche! Wie könnt Ihr so viel Niedrigkeit und so viel Größe in eins bringen, so viele Tugenden und so viele Laster?“
Da es wirklich VIEL zu sehen gibt, habe ich für diesen Bericht ein paar Highlights für dich herausgepickt.
Die Installation von Kimsooja in der Rotunde löste bei mir in erster Linie Begeisterung und Spieltrieb aus.
Der Boden ist komplett verspiegelt und als ich ankam, sah ich schon einige Besucher, die darauf herumliefen und einander fotografierten. Ich streifte mir also auch ein paar Überzieher über meine Schuhe und stürzte mich ins Vergnügen.
Huuups, mein Kopf wusste ja, dass ich festen Boden unter den Füßen habe, aber die Emotionen… die Spiegelung der nach oben offenen Kuppel, kann nämlich durchaus das Gefühl erzeugen, dass man in einen Abgrund hineinläuft. Ich habe mir lieber vorgestellt, dass ich über Wasser gehen kann (der Himmel war gerade so schön blau).
Cooler Effekt: durch die architektonische Form bleibt man immer in dem Stück gespiegelten Himmel, egal ob man sich in der Mitte oder am Rand der Fläche befindet!
Nachdem ich mich daran gewöhnt hatte, machte ich erstmal ganz viele Fotos und Videos. Dann fing ich an, die anderen zu beobachten – was machen die so (kann ich mir da vielleicht noch eine witzige Idee für ein Foto abschauen?)
Und natürlich stellte ich mir die Frage: Wie kam die koreanische Konzeptkünstlerin auf die Idee? Sie selbst sagt: „Ich will Werke kreieren, die wie Wasser und Luft sind, die nicht besessen, aber von allen geteilt werden können.“
Neben der Hauptinstallation hat sie die Vitrinen im umlaufenden Gang der Rotunde mit Werken aus den vergangenen 40 Jahren ihrer Karriere bestückt. Im Untergeschoss sind drei Performances auf Video zu sehen. Hier fand ich die Bezüge zu ihrer Herkunft spannend, unter anderem die Moon Jars (ein traditionelles koreanisches Porzellangefäß) oder die farbenfrohen Bottaris (Stoffbündel, in die Gegenstände verpackt werden).
2.
To Breathe – Konstellation
3.
Die menschliche Komödie
Im Erdgeschoss erwartet dich gleich noch eine literarische Anspielung, und zwar auf das Monumentalwerk „Comédie Humaine“ von Balzac. Unter diesem Titel sind Werke verschiedener Künstler versammelt, darunter Cindy Sherman, Sigmar Polke und Martin Kippenberger.
Durch das Überraschungsmoment sticht „Old People‘s Home“ von Sun Yuan & Peng Yu besonders hervor. Ich betrat den Raum und ein Mann im Rollstuhl fuhr auf mich zu. Automatisch ging ich beiseite, um Platz zu machen, als es piepte und der Rollstuhl stoppte.
Warte mal, da sind ja noch mehr Rollstühle, in denen sitzen…männliche Puppen, alle uralt, ein Scheich, ein Priester, einer hat eine Peitsche in der Hand, der andere eine Handgranate….Was ist das denn??? Eine Parodie auf ein Meeting des UN-Sicherheitsrates, wie ich in der Beschreibung las, die (ehemaligen) Machthaber sind nun senile Opfer der ebenso patriarchalen wie pathologischen Strukturen, die sie selbst etabliert haben. Den Titel „Die menschliche Tragödie“ fände ich hier eindeutig passender.
4.
Plötzlich diese Übersicht
Wer musste auch früher im Werkunterricht Vasen töpfern und das Ergebnis war immer ziemlich krumm und schief?
Daran hat mich dieser Ausstellungsteil erinnert, mit 76 Tonfiguren der Schweizer Künstler Peter Fischli und David Weiss. Zwei Männchen, die ziemlich gleich aussehen, mit dem Titel „Lustig und Blöd“, eine Figur, die Kopf steht, mit dem Titel „Oben und Unten“ oder das hübsche Wortspiel „Cassius Clay () nach dem Kampf gegen Joe Frazier“ (die Figur zeigt einen lädierten Boxer).
Diese Art, sich selbst und die Kunst nicht ganz ernst zu nehmen und Naivität zum Stilmittel zu machen, hat mir gefallen.
Den Spiegel für meine Konsumhaltung bekam ich hier gleich vorgehalten. Nicht nur, dass eine Skulptur in Spiegelform ebenfalls an der Wand hängt, auch hätte ich eins der Frühwerke von ihm fast übersehen: zwei Staubsauger in einer Vitrine aus den 80er-Jahren.
Das Verhältnis zwischen Kunst und Konsum ist eins der großen Themen von Jeff Koons. Da hat er mit seinen Ballonhunden, die zum Symbol zeitgenössischer Kunst wurden, definitiv einen Nerv getroffen. Will die nicht jeder haben (oder wenigstens fotografieren?).
Außerdem erforscht er die Beziehung zwischen Objekt und Körper. Einerseits besteht er darauf, dass seine Skulptur eine recht naturgetreue, wenn auch enorm große Abbildung eines Ballons oder eines Spiegels ist. Andererseits können die kurvigen Formen und die polierten Oberflächen sexuelle Konnotationen wecken (was ich immer noch nicht so wirklich nachvollziehen kann). Und die Staubsauger sollen „atmende Maschinen“ darstellen, androgyn, mit ihren Schläuchen und Öffnungen. Nun ja.
Koons Arbeiten hatten großen Einfluss auf Damien Hirst, der im selben Raum mit seiner Arbeit „The Fragile Truth“ vertreten ist. Sie entstand in den Jahren 1997 und 1998, also in der Zeit zwischen dem in Formaldehyd eingelegten Hai (The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living, 1991) und dem glitzernden Totenschädel (For the Love of God, 2007), zwei seiner wahrscheinlich bekanntesten Werke.
Hirst beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Kunst, Wissenschaft und Religion sowie der Kapitalisierung von Leben und Tod. Die riesige Vitrine voller Medikamente erinnert an ein Kuriositätenkabinett und kann als Kommentar zum geschickten Marketing der Pharmaindustrie mit ihrer Vielfalt an Logos, Designs und Slogans gelesen werden. Die erste Version dieser Arbeit entstand übrigens, als Hirst nach dem Tod seiner Großmutter einen Schrank voller Pillen in ihrem Haus fand…
5.
Jeff Koons und Damien Hirst
6.
Deutsche Künstlerinnen
Anne Imhof aus Gießen (Heimat von Céline) ist mit gleich drei Arbeiten vertreten. Im Raum mit dem Titel „Making Ruins“ hängt ein Tryptichon von 2022, das eine Explosion darstellt. Es wurde von einer KI generiert, dann aber von Hand gemalt und wirkt nur auf den ersten Blick schwarz-weiß. Bei genauerem Hinsehen sieht man die roten und grünen Farbflächen, die ihm den 3D-Effekt verleihen.
An der Wand daneben eine schwarze Lederjacke, aus der weißes Pulver zu rinnen scheint. Ein nackter Rücken auf schwarzer Leinwand, in den Haaren der Schriftzug „Now and forever“, hängt im Raum mit dem Titel „Die Stille der Welt“. Eine Anspielung auf Albert Camus’ Werk „Der Mythos des Sisyphus“, in dem er schreibt: „Das Absurde entsteht aus dieser Konfrontation des menschlichen Rufs mit der unzumutbaren Stille der Welt.“
Unter der Überschrift „Fantasies and bankruptcies“ dekonstruiert Rosemarie Trockel Gender-Stereotypen. Eine pinkfarbene Fläche mit sechs Herdplatten, aber eine davon ist nach unten gerutscht. Ein Bügeleisen, das die Skulptur eines männlichen Kopfes zum Schmelzen bringt. Ein Aktfoto, auf dem eine riesige Spinne das Schamhaar auf einer Vagina ersetzt. Eine rote Plastik, von Linien durchzogen, in der nur noch mit Mühe ein männlicher Torso erkennbar ist. Kraftvolle Statements, aber nichts für schwache Nerven…
Um das Zitat von Babouc noch einmal aufzugreifen: Menschen sind zu allem fähig. Zu kreativen Höchstleistungen und Mitmenschlichkeit ebenso wie zu Totschlag und Zerstörung.
Für mein Gefühl überwiegt in der Ausstellung eher die negative Seite. Es gab viele „Autsch“-Momente und teilweise war ich echt schockiert. Allerdings bringt die Realität das auch fertig und wenn man Kunst als Spiegel betrachtet, finde ich, darf sie aufrütteln und zum Nachdenken anregen.
Andererseits hatte ich Spaß, wurde überrascht und habe viel gelernt. Die Werke stammen aus den letzten 40 Jahren, das hat mir klargemacht: Krisen gab es immer und wird es immer geben. Und so wie die Künstler ihre Werke gestalten, haben wir als Menschen auch Einfluss auf die Welt um uns herum und können entscheiden, wie wir mit Herausforderungen umgehen.
In der Geschichte von Voltaire entschließt sich der Engel übrigens, die Stadt nicht zu zerstören, denn „wenn auch nicht alles gut ist, so ist es doch annehmbar.“
Ich würde sagen: ab nach Persepolis, äh Paris, Ausstellung anschauen und selbst entscheiden, was du gut und schlecht findest. Sie läuft noch bis zum 2. September!
Fazit
Text- und Bildrechte: © Céline Mülich, 2024
Mit Unterstützung von Anne Okolowitz.